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Einzelhandel – Wer stationär bleibt, macht dicht

Einzelhandel – Wer stationär bleibt, macht dicht

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Kai Buschbom

Kai Buschbom
Analyst Published 21 Feb 2022 Read time: 7

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21 Feb 2022

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7 minutes

Die Coronakrise beschleunigt den Trend hin zum Onlinevertrieb, und zeigt die Verwundbarkeit des stationären Einzelhandels auf

Der Ausbruch des Coronavirus (COVID-19) und die damit einhergehenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und Veränderungen des Konsumverhaltens stellten den nicht-systemrelevanten Einzelhandel vor große Herausforderungen. Trotz der Ladenschließungen entwickelten sich die Umsätze je nach Branche unterschiedlich. Zwar waren sie meist rückläufig, doch manche Branchen des Einzelhandels verzeichneten in der Coronakrise sogar ein Umsatzplus.

Verlauf und Auswirkungen der Pandemie

Die erste Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in Deutschland trat Ende Januar 2020 in Bayern auf und breitete sich in den darauffolgenden Monaten aus. Auf Anordnung der Regierungen des Bundes und der Länder erfolgte am 18. März des Jahres 2020 die Schließung nicht-systemrelevanter stationärer Geschäfte des Einzelhandels, der sogenannte Lockdown. Diese Maßnahmen wurden ab dem 20. April 2020 für Geschäfte mit einer Verkaufsfläche bis zu 800 m2 wieder gelockert, allerdings unter Auflagen, um eine Ansammlung von Menschen zu verhindern. Die Größenbestimmung galt bis zum 6. Mai 2020. Die Infektionszahlen entwickelten sich, trotz lokaler Ausschläge, bis Anfang Juni 2020 rückläufig und stiegen danach leicht und ab Oktober 2020 stark an.

Diese Entwicklung führte ab dem 16. Dezember 2020 in Deutschland zur erneuten Schließung der Geschäfte des Einzelhandels. Dieser zweite Lockdown war zunächst bis zum 10. Januar 2021 befristet, wurde allerdings wegen steigender Inzidenzen mehrmals verlängert und endete nach beinahe sechs Monaten erst im Mai 2021. Grund hierfür war zunächst das Auftreten der SARS-CoV-2-Variante Alpha, die allerdings in der zweiten Jahreshälfte durch die ansteckendere Delta-Variante verdrängt wurde. Ihr folgte zum Jahreswechsel und im aktuellen Jahr die Omikron-Variante, die im Verlauf milder, aber noch ansteckender war.

Laut dem Handelsverband Deutschland waren im Non-Food-Einzelhandel rund 192.000 Unternehmen mit 260.000 Standorten und einem Jahresumsatz von 200 Milliarden Euro von den Ladenschließungen betroffen. Dabei handelte es sich in erster Linie um kleine und mittlere Unternehmen mit einem Jahresumsatz von weniger als 10 Millionen Euro. Während der Coronakrise litt vor allem der Einzelhandel in den Innenstädten. Von den insgesamt 1,6 Millionen Beschäftigten im Non-Food-Einzelhandel waren zu diesem Zeitpunkt rund 560.000 im Innenstadthandel tätig.

Einschnitte für den nicht-systemrelevanten Einzelhandel

Während der Coronakrise wurde die Umsatzentwicklung nicht nur von den Ladenschließungen und den zusätzlichen Kosten für Hygienemaßnahmen beeinträchtigt, sondern auch durch eine Änderung des Konsumverhaltens. So litt der Einzelhandel mit Bekleidung indirekt unter den Veranstaltungsverboten, dem Homeoffice, Einstellungsstopps, Reisebeschränkungen und der Schließung von Freizeitbetrieben, da den Verbrauchern in diesem Zusammenhang die Anlässe zum Kauf von neuer Bekleidung fehlten. Für viele Verbraucher bedeutete die Coronakrise eine Zeit der wirtschaftlichen Unsicherheit, in der sie auf unnötige Ausgaben verzichteten. Die Situation gestaltete sich für den Einzelhandel mit Schuhen und Lederwaren ähnlich. Beide Branchen verzeichneten im Jahr 2020 starke Umsatzrückgänge und konnten auch im Jahr 2021 das Vorkrisenniveau nicht wieder erreichen.

Der Einzelhandel mit Kfz-Teilen und -Zubehör gehört nach der Definition der HDE zwar nicht zum klassischen Non-Food-Einzelhandel, aber ist vom Jahresumsatz her, nach dem Einzelhandel mit Bekleidung und dem Einzelhandel mit Möbeln und Einrichtungsgegenständen, die drittgrößte Verlust-Branche des als nicht-systemrelevant eingestuften Einzelhandels. Die Schließung stationärer Verkaufsstellen infolge des Lockdowns führte, verbunden mit einem rückläufigen monatlichen Haushaltsnettoeinkommen, zu einem Rückgang des Umsatzes, da PKW-Halter ihre Ausgaben für nicht notwendige Reparaturen, Zubehör und Pflegeprodukte reduzierten. Erschwert wurde die Lage des Einzelhandels mit Kfz-Teilen und -Zubehör außerdem durch die coronabedingten Unterbrechungen der Lieferkette, da mehr als die Hälfte der Binnennachfrage durch Importe gedeckt wird. Der Umsatzrückgang dieser Branche lag 2020 bei über 10 % und erholte sich 2021 nur leicht um 2 %.

Ähnlich entwickelte sich der Umsatz des Einzelhandels mit Büchern, der nach einem starken Rückgang im Jahr 2020 im darauffolgenden Jahr nur ein leichtes Wachstum verzeichnen konnte. Dabei zeichnet sich in dieser Branche insbesondere bei den Produkten ein differenzierteres Bild. Zwar nahm die Nachfrage nach Schul- und Reiseliteratur bedingt durch das Homeschooling und die Reisebeschränkungen ab, die Nachfrage nach Belletristik stieg jedoch an. Die führenden Branchenakteure profitierten während der Ladenschließungen von dem im Jahr 2013 gemeinsam entwickelten eReader Tolino. Die Zahl der verkauften E-Books stieg in den ersten beiden Jahren der Coronakrise deutlich an, konnte aber aufgrund des geringen Marktanteils gegenüber klassischen Büchern den starken Umsatzrückgang nur abmildern.

Chancen für den nicht-systemrelevanten Einzelhandel

Mit den Einschränkungen des öffentlichen Lebens wandelten sich auch die Präferenzen der Konsumenten. Trotz der Ladenschließungen profitierten manche Branchen des Einzelhandels von den Auswirkungen der Coronakrise. So verzeichnete der Einzelhandel mit Fahrrädern, Sport- und Campingartikeln im Jahr 2020 einen starken und im Jahr 2021 einen leichten Umsatzanstieg. Ursache hierfür war der Umstand, dass es zu Einschränkungen der Reise- und Freizeitmöglichkeiten kam und die Menschen einen Ausgleich in der sportlichen Betätigung im Außenbereich suchten. Ausgebremst wurde dieses Umsatzwachstum allerdings durch coronabedingte Produktionsunterbrechungen im Fahrradsegment in China und den damit verbundenen Lieferschwierigkeiten. Ebenfalls negativ wirkte sich der Nachfragerückgang bei den Produktsegmenten der Mannschaftssportarten aus.

Von den Einschränkungen des öffentlichen Lebens und dem dadurch verursachten Wandel der Verbraucherpräferenzen profitierte auch der Einzelhandel mit Vorhängen, Teppichen und Fußbodenbelägen, denn zum einen stieg die Anzahl der Renovierungen, da viele Menschen durch das Homeoffice mehr Zeit zuhause verbrachten und zum anderen wollten sie aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Lage unnötige Kosten für Handwerker einsparen. Dies führte zu einem Anstieg der Nachfrage nach Heimwerkerbedarf wie Bodenbelägen und Tapeten.

Der Einzelhandel mit elektrischen Haushaltsgeräten war 2020 zwar ebenfalls von den Ladenschließungen betroffen, hebelte diesen Umstand allerdings mit der Einführung des Click & Collect-Systems wieder aus. Weil die Kunden ihre Waren online bestellen und vor Ort abholen beziehungsweise geliefert bekommen konnten, verzeichnete diese Branche sowohl 2020 als auch 2021 ein solides Umsatzwachstum. Das Click & Collect-System fand auch im Einzelhandel mit EDV-Geräten und Videospielen Verwendung und konnte dort 2020 zumindest einen starken Umsatzeinbruch verhindern. Beide Branchen haben mit der Ceconomy AG einen gemeinsamen und prägenden Hauptakteur, der auch für die Zukunft eine stärke Einbindung des Online-Handels in seine Geschäftstätigkeiten plant.

Umfang der staatlichen Unterstützung

Die staatliche Unterstützung nahm während der Coronakrise unterschiedliche Formen an. So wurden laut dem Ifo-Institut auf staatlicher Seite das Kurzarbeitsgeld ausgeweitet, Steuerzahlungen als Teil einer Liquiditätshilfe gestundet und die Anforderungen für das KfW-Schnellkreditprogramm gesenkt. Bis zum 31.05.2020 konnten Klein- und Kleinstunternehmer zudem die Unterstützung durch ein spezielles Soforthilfeprogramm beantragen. Da laut HDE rund 99 % der Branchenakteure im Non-Food-Einzelhandel kleine und mittlere Unternehmen sind, war dieses Soforthilfeprogramm zusammen mit der sogenannten Überbrückungshilfe III, die von Ende 2020 bis Mitte 2021 gewährt wurde, ein wichtiges Instrument zur Abmilderung der Umsatzrückgänge der einzelnen Branchen.

Des Weiteren konnten bis zum 30. Juni 2020 Mietzahlungen gestundet werden, falls die Branchenakteure aufgrund von Corona nicht über ausreichend Liquidität verfügten. In diesem Zusammenhang erfolgte am 31. Dezember 2020 auch eine Überarbeitung des Miet- und Pachtrechts, um die gewerblichen Mieter bei Verhandlungsgesprächen mit den Vermietern zu unterstützen. Vom 30. März 2020 bis zum 30. April 2021 wurde zudem die Antragspflicht für insolvente Unternehmen ausgesetzt.

Online-Handel – Fluch und Segen zugleich

In der Vergangenheit standen die unterschiedlichen Branchen des Einzelhandels in direkter Konkurrenz zum Online-Handel. Seit dem Ausbruch des Coronavirus setzten viele der größeren Branchenakteure auf den Ausbau ihrer Online-Vertriebswege. Der eigene Online-Handel bot beispielsweise dem Einzelhandel mit Kfz-Teilen und -Zubehör die Möglichkeit, Umsatzeinbußen zu kompensieren. Das Ausweichen auf Online-Vertriebswege half auch dem Einzelhandel mit Fahrrädern, Sport und Campingartikeln dabei, die Absatzmenge während der Lockdowns zu stabilisieren. Zudem spielte das Click-and-Collect-System unter anderem beim Einzelhandel mit elektrischen Haushaltsgeräten eine wichtige Rolle für die Umsatzsteigerung im Jahr 2020. Diese Entwicklung muss allerdings in Relation zu Amazons Ausbau der eigenen Marktmacht gesehen werden, die sich laut HDE bereits im Jahr 2019 in einem Anteil von 48 % an den Umsätzen des Online-Einzelhandels äußerte und im Jahr 2020 auf 53 % angestiegen ist.

Fazit und Ausblick

Die Coronakrise hat das Kaufverhalten und die Präferenzen der Verbraucher nachhaltig verändert. Darunter dürfte gerade der Einzelhandel in den Innenstädten, der auf eine hohe Frequenz von Laufkundschaft angewiesen ist, leiden. Für fast alle Branchen des nicht-systemrelevanten Einzelhandels gilt, dass die Coronakrise bereits bestehende Entwicklungen und Tendenzen verstärkt hat. Dazu zählen der Bedeutungsgewinn der eigenen Online-Vertriebswege, die Verschärfung des Konkurrenzkampfes mit dem Online-Handel und auch die wachsenden Marktanteile von noch jungen Produktsegmenten wie dem eReader. Gleichzeitig verstärkte die Coronakrise aber auch die Nachfrage nach Produkten wie Fahrrädern oder Heimwerkerbedarf infolge der Reisebeschränkungen und des Homeoffice. In den kommenden fünf Jahren dürfte sich das Umsatzwachstum der Gewinnerbranchen wieder abschwächen und auf einem niedrigen Niveau einpendeln, da sie weitere Marktanteile an den Online-Handel verlieren dürften. Zudem nimmt laut dem Ifo-Institut die Nutzung des Homeoffice ab und führt zu einer Verschiebung der Nachfrage, da wieder weniger Zeit zuhause verbracht wird.

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