Insbesondere in der Seefrachtschifffahrt explodieren bei kurzfristigen Verträgen die Frachtraten
Seit dem ersten Quartal 2020 führt die Coronavirus-Krise zu massiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen. Dadurch kam es zunächst auch zu einem deutlichen Verfall der meisten Rohstoffpreise. Insbesondere seit dem Herbst 2020 hat sich diese Entwicklung jedoch bei vielen Rohstoffen ins Gegenteil verkehrt. Dadurch ist vor allem auch die Nachfrage nach Beförderungsdienstleistungen mit Seefrachtschiffen auf bestimmten Routen massiv angestiegen. Der Anstieg der Frachtraten, also der Preise, die in der Seefrachtschifffahrt und in anderen Transportbranchen für eine Transporteinheit berechnet werden, wird im Folgenden genauer untersucht.
Hintergründe des Rohstoffpreisanstiegs
Seit dem März 2020 setzen die meisten führenden Industrienationen auf zeitlich befristete Lockdowns und strengere Hygienevorgaben, um die Folgen der Pandemie in Grenzen zu halten. Akteure aus dem produzierenden Gewerbe legten insbesondere zu Beginn der Pandemie ihre Produktionsanlagen still oder fuhren ihren Betrieb stark herunter. Des Weiteren hat die mit der Pandemie einhergehende Wirtschaftskrise zu einem Nachfragerückgang in vielen Bereichen geführt, was das Produktionsvolumen zusätzlich gedämpft hat. Wegen der deutlich gesunkenen Nachfrage aus der Industrie nach den meisten Rohstoffen abgesehen von Erzeugnissen des Agrarsektors lag das Preisniveau der meisten Rohstoffe bis zum Herbst 2020 deutlich unter dem Vorkrisenniveau.
Viele Industrieunternehmen hatten jedoch im Herbst 2020 ihre Lagerbestände an Rohstoffen aufgebraucht, während gleichzeitig die Produktion häufig wieder hochgefahren und auch Just-in-time-Lieferketten wieder aktiviert wurden. Daraufhin entschieden die Einkaufsabteilungen vieler Industrieunternehmen, mehr Rohstoffe zu ordern, wodurch deren Preise innerhalb kürzester Zeit anstiegen. Eine analoge Entwicklung des Preisanstiegs gibt es auch bei vielen Zulieferteilen, deren Produktion wiederum auf Rohstoffen basiert. Für den enormen Rohstoffpreisanstieg sind jedoch auch diverse andere Faktoren ausschlaggebend, beispielsweise die relativ schnelle wirtschaftliche Erholung Chinas. Vom Rohstoffpreisanstieg sind Metalle wie Kupfer oder Eisenerz besonders stark betroffen, da der aktuelle Marktpreis sogar teilweise erheblich über dem Vorkrisenniveau liegt.
Auswirkungen auf die Seefrachtschifffahrt
Zu Beginn der Pandemie im ersten Quartal 2020 schien das Jahr für die Seefrachtschifffahrt verloren. Wegen des enormen Rückgangs des Produktionsvolumens und einer negativen Konsumentwicklung sank auch die Nachfrage nach Gütertransporten mit Seefrachtschiffen signifikant, nur der zunächst eingebrochene Rohölpreis erwies sich wegen des daraus resultierenden günstigeren Schiffsdieselpreises als vorteilhaft für die Branche.
Die Seefrachtschiffbetreiber hatten in den Jahren vor der Pandemie mit erheblichen Überkapazitäten zu kämpfen, die sie erst Ende der 2010er-Jahre abbauen konnten. Durch die einsetzende Coronavirus-Krise trat diese Problematik ab März 2020 erneut auf. Viele Reedereien entschlossen sich deshalb kurzfristig dazu, Schiffe stillzulegen. Durch den ab dem Herbst 2020 deutlich erhöhten Transportbedarf an Rohstoffen, Zulieferteilen aber auch an Unterhaltungselektronik änderte sich die Marktlage in kürzester Zeit erheblich. Stillgelegte Schiffe wurden wieder in Betrieb genommen und werden seitdem vor allem auf Routen mit besonders hohen Frachtraten eingesetzt.
Die gestiegene Nachfrage nach Transporten auf den Weltmeeren hat sich jedoch nicht einheitlich entwickelt. Sie beschränkt sich vor allem auf Schiffsverbindungen von und nach Asien sowie Ozeanien und Lateinamerika. Für deutsche Reeder am relevantesten ist die gestiegene Nachfrage nach Transporten von Asien nach Europa.
In der Seefrachtschifffahrt werden häufig langfristige Liefervereinbarungen zu Festpreisen getroffen. Solche Altverträge verhindern einen noch stärkeren Anstieg der Frachtraten. Bei Transporten mit kurzfristig vereinbarten Transportverträgen, in der Branche als Spotmarkt bekannt, sind die Frachtraten teilweise um mehr als das Fünffache angestiegen. Daher ist es für die Reedereien momentan attraktiv, sich unter Inkaufnahme der Zahlung von Vertragsstrafen von Altverträgen zu trennen, um mittels kurzfristiger Verträge höhere Frachtraten zu erzielen. Die Möglichkeit, einen Vertrag gegen eine zumeist hohe Strafzahlung nicht zu bedienen, ist jedoch nicht in allen Verträgen inkludiert.
Bei den Reedereien spielen auch strategische Überlegungen aktuell eine große Rolle, da die Nachfrage nach Seetransporten auf bestimmten Routen nicht dauerhaft so hoch bleiben wird. Deswegen entscheiden sich Reedereien häufig dazu, zumindest Verträge mit Schlüsselkunden zu bedienen, um diese nicht zu verärgern und möglicherweise zu verlieren. Außerdem versuchen die Reedereien zum jetzigen Zeitpunkt verstärkt, ihren Kunden langfristige Verträge zu vermitteln, die den Reedereien auch nach dem Ende des Booms mittelfristig sichere Einnahmen bringen. Dafür sind die Reedereien dann auch bereit, diesen Kunden kurzfristig günstigere Frachtraten als auf dem Spotmarkt üblich zu gewähren.
Situation in anderen Transportbranchen
Auf den Weltmeeren zeigt sich ein gewisser Flaschenhalseffekt. Hiervon profitieren auch die im Seefrachtgeschäft tätigen Speditionen. Bei anderen Akteuren aus dem Logistiksektor wie den Güterbeförderern im Straßen- und Eisenbahnverkehr und den Frachtumschlagsdienstleistern, zumindest bei jenen, die nicht an Häfen agieren, hält sich der positive Effekt jedoch in Grenzen, da das Produktionsvolumen der Gesamtindustrie auch 2021 immer noch deutlich unter dem Vorkrisenniveau von 2019 liegen dürfte. Die kurzfristig erhöhte Anzahl von Gütertransporten von und zu Häfen trägt eher dazu bei, die Folgen der Krise zu dämpfen.
Dauer des Rohstoffpreis- und Frachtratenbooms
Schon jetzt zeichnet sich bei der Entwicklung der Rohstoffpreise ab, dass der Höhepunkt des Preisanstiegs möglicherweise schon überschritten ist. Allerdings wurde schon Anfang 2021 erwartet, dass der Rohstoffboom nur bis zum chinesischen Neujahrsfest Mitte Februar 2021 andauern wird. Dieser Zeitpunkt ist längst überschritten. IBISWorld erwartet, dass der Bedarf an Transportdienstleistungen auf dem Meer erst signifikant zurückgehen wird, wenn die Eindämmung der Pandemie gelingt, womit im Sommer 2021 zu rechnen ist. Dann wird die Branche der Seefrachtschifffahrt allerdings wahrscheinlich wieder stärker unter strukturellen Problemen wie der hohen Verschuldung vieler Branchen leiden, die mit der Pandemie auch mittelfristig betrachtet einhergehen dürften.
Fazit
Die Coronavirus-Krise hat insbesondere der Seefrachtschifffahrt einen vollkommen unerwarteten Boom ermöglicht, der jedoch nur noch ein paar Monate andauern dürfte. Die Reedereien nutzen diesen, um zumindest die mittel- bis langfristigen wirtschaftlichen Folgen der Krise besser zu bewältigen. Der Boom ist größtenteils auf die Seefrachtschifffahrtsbranche begrenzt und betrifft andere Transportbranchen nur bedingt.
In diesem Bericht erwähnte Branchen:
H49.20DE - Güterbeförderung im Eisenbahnverkehr
H49.41DE - Güterbeförderung im Straßenverkehr
H50.20 - Güterbeförderung in der See- und Küstenschifffahrt
In diesem Bericht erwähnte Einflussfaktoren:
IBISWorld Einflussfaktorenanalyse Weltmarktpreis für Rohöl
IBISWorld Einflussfaktorenanalyse Produktionsvolumen
IBISWorld Einflussfaktorenanalyse Weltmarktpreis für Kupfer
IBISWorld Einflussfaktorenanalyse Weltmarktpreis für Eisenerz