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Auswirkungen der Coronavirus-Krise auf die Tourismusbranchen

Auswirkungen der Coronavirus-Krise auf die Tourismusbranchen

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Johannes Meichsner

Johannes Meichsner
Analyst Published 07 Apr 2022 Read time: 7

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07 Apr 2022

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7 minutes

Der Inlandstourismus ist im Verhältnis zu Reisen ins Ausland weniger von den Folgen der Pandemie betroffen

Der Tourismussektor ist ein Bereich der Wirtschaft, der generell eine moderate bis hohe Umsatzvolatilität aufweist, da er sehr abhängig von der Konjunktur ist und sich politische Krisen hier häufig stark auf das Geschäft auswirken. Die Coronavirus-Krise stellt in ihrer Dimension jedoch einen absoluten Sonderfall dar, welcher den Reisesektor nachhaltig in seiner Entwicklung beeinflussen dürfte. Insbesondere 2020 und 2021 wurde der Tourismus erheblich eingeschränkt. Die negativen Einflüsse auf die einzelnen Bereiche des Tourismussektors fielen jedoch unterschiedlich stark aus. Nicht nur die Pandemiefolgen in Deutschland sind wichtig, sondern auch die allgemeine Situation in anderen Ländern. Diese hat ebenfalls einen Einfluss auf die deutschen Tourismusbranchen, da zum einen Branchenakteure wie Reisebüros und Reiseveranstalter auch viele Reisen zu ausländischen Destinationen verkaufen und zum anderen Touristen aus dem Ausland nach Deutschland kommen.

Betriebliche Einschränkungen

Während die Pandemie bereits Anfang 2020 in Teilen Asiens zu Einschränkungen führte, wirkte sie sich auf Europa insbesondere ab Mitte März 2020 aus, als die europäischen Regierungen mehrheitlich Lockdowns verhängten. Viele Akteure der Tourismuswirtschaft mussten bis Mai 2020 ihren Betrieb einstellen, da dies bundesweit untersagt wurde. Dazu zählten beispielsweise Hotels und sonstige Beherbergungsbetriebe sowie Vergnügungs- und Themenparks. In folgenden Lockdowns kam es auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene zu behördlich angeordneten Schließungen bzw. Einschränkungen des Betriebs. Letztere galten im Gegensatz zu den Lockdowns für die gesamte bisherige Dauer der Pandemie.

Zu den behördlich angeordneten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zählen beispielsweise Hygienevorgaben wie die Zurverfügungstellung von Desinfektionsmitteln, Abstandregelungen in Speiseräumen von Hotels und sonstigen Beherbergungsbetrieben und die Deckelung von Belegungskapazitäten unterhalb des Vorkrisenniveaus. Diese Maßnahmen sind mit dem Fortschreiten der Pandemie immer mehr in die Entscheidungskompetenz der Bundesländer übertragen worden und teilweise auch in die der Kommunen, sofern an bestimmten Orten wegen hoher Inzidenzen besondere Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden mussten.

Des Weiteren müssen sich die Beherbergungsbetriebe und die sonstigen Freizeitbetriebe wie beispielsweise die Vergnügungsparks 2G-, 2G-Plus und 3G-Regelungen unterordnen. Bestimmte Bundesländer wie Sachsen handhabten die Situation so, dass Leistungserbringer aus der Tourismusindustrie wie Hotels sich für ein sogenanntes Optionsmodell entscheiden konnten, bei dem sie auf Einschränkungen wie Kapazitätsbeschränkungen oder eine Maskenpflicht in öffentlichen Räumlichkeiten verzichten konnten, wenn sie stattdessen die 2G-Plus-Regelung anwendeten. Diese Wahlmöglichkeiten wurden aber teilweise in der zweiten Jahreshälfte 2021 obsolet, da deutschlandweit auf stärkere Einschränkungen für Ungeimpfte gesetzt wurde.

Für die meisten Transportmittel gelten während der Pandemie geringere Einschränkungen als für Beherbergungsbetriebe und Touristenattraktionen. Sogar während der Lockdowns konnten die meisten in Betrieb bleiben bzw. es wurde nicht behördlich untersagt. Die einzigen Vorgaben sind die Maskenpflicht, die im Frühjahr 2020 mit etwas Verzögerung nach dem Beginn des Lockdowns Mitte März 2020 eingeführt wurde, sowie 2G- bzw. 3G-Testregelungen. Die geringeren Einschränkungen für Transportmittel sind darauf zurückzuführen, dass sie vonseiten der Behörden als notwendiges Element für die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens angesehen werden.

Es kam allerdings zeitweise zu erheblichen Ausdünnungen der Verbindungen durch die Betreiber von Transportmitteln wie bei Passagierfluggesellschaften, Unternehmen im Eisenbahnfernverkehr und bei Fernbusbetreibern. Die durch die Betreiber von Transportmitteln zur Kostenreduktion freiwillig reduzierten Verbindungen hatten jedoch auch einen negativen Einfluss auf Branchen, die direkt zur Tourismuswirtschaft zählen. So konnten inländische Reiseziele mit öffentlichen Verkehrsmitteln schwerer erreicht werden und Feriendestinationen im Ausland, bei denen Teilleistungen von Reisen wie Flüge oder Übernachtungen von Ticketing-Dienstleistern vermittelt werden oder auch komplette Reisepakete von Reisebüros und Reiseveranstaltern vertrieben werden, waren ebenfalls nur noch schwer zu erreichen. Dies hatte zur Folge, dass Kunden, die prinzipiell auch während der Pandemie zu einer touristischen Reise bereit waren, häufiger davon Abstand nahmen.

Obwohl Kreuzfahrten schon Anfang März 2020 wegen Coronavirus-Ausbrüchen auf den Schiffen und eben solcher bei Neuanläufen in die Schlagzeilen gerieten, war der Ticketverkauf für die Reeder bislang keine große Herausforderung, da viele Kreuzfahrtnutzer eine gewisse Sehnsucht nach einer erneuten Reise mit einem Kreuzfahrtschiff haben. Die Kreuzfahrtschiffbetreiber sind zu umfassenden Hygienemaßnahmen und regelmäßigen Tests der Passagiere auf das Coronavirus angehalten. Zudem können die Schiffe nur mit begrenzten Kapazitäten fahren, um den Abstandsregelungen gerecht zu werden.  

Die starken direkten und indirekten Einschränkungen von touristischen Aktivitäten galten insbesondere 2020 und 2021 weltweit. Zwischen März 2020 und November 2021 konnten Nicht-Staatsbürger beispielsweise nicht oder nur mit einer Sondererlaubnis über den Luftweg in die USA einreisen. Bei Einreisen über den Landweg über Kanada galten umfassende Quarantäneregeln. Seit Anfang 2022 reduzierten viele Länder die Einschränkungen, wodurch nun touristische Aktivitäten global wieder leichter möglich sind.

Reiseziel Deutschland

Das Reiseziel Deutschland konnte in den 2010er-Jahren stetig steigende Zahlen an Ankünften inländischer sowie ausländischer Reisender in Beherbergungsbetrieben jeglicher Art verzeichnen. Dies war zum einen auf die weltweit gute konjunkturelle Situation mit einem global wie national kontinuierlich steigenden Bruttoinlandsprodukt und daraus resultierenden wachsenden Privat- und Geschäftsreisebudgets zurückzuführen, zum anderen konnte der Tourismusstandort Deutschland in den letzten Jahren erheblich an Reputation gewinnen. Auch wenn Berlin beispielsweise weitaus weniger Wirtschaftskraft als London oder Paris aufweist, so stellt die deutsche Hauptstadt für viele Touristen die vielleicht interessanteste europäische Großstadt dar.

Mit dem Ausbruch der Pandemie hat allerdings auch Deutschland einen erheblichen Einbruch der Gästezahlen hinnehmen müssen. Der Einbruch fiel jedoch 2020 und 2021 im Verhältnis geringer aus als bei vielen bekannten ausländischen Reisedestinationen wie beispielsweise der Türkei. Zwar lag in Deutschland die Zahl der ausländischen Besucher 2020 nur bei gut einem Viertel des Wertes von 2019, für den Tourismusstandort Deutschland sind jedoch trotz der gestiegenen internationalen Reputation in den letzten Jahren immer noch die inländischen Besucher wesentlich relevanter. Hier lag die Zahl 2020 immer noch deutlich über der Hälfte des 2019er-Niveaus.

Viele Verbraucher, die trotz des eingetrübten Konsumklimas weiterhin verreisen wollten, bevorzugten 2020 und 2021 einen Urlaub in Deutschland anstelle einer schwieriger durchzuführenden Auslandsreise. Dies zeigte sich auch am deutlichen Anstieg der Verkäufe von Booten- und Yachten, die zum Freizeitvergnügen genutzt und mehrheitlich in heimischen und grenznahen Gewässern eingesetzt werden. Trotz des im Verhältnis geringeren Einbruchs der Touristenzahl in Deutschland im Vergleich zu Ländern wie der Türkei oder Ägypten, die über eine deutlich geringere inländische Kaufkraft verfügen, droht dennoch in Deutschland ein Hotelsterben, da selbst die umfangreichen Staatshilfen wie das Kurzarbeitergeld nicht ausreichend sind, um die Unkosten und entgangenen Umsätze der Pandemie auszugleichen. Außerdem dürfte selbst 2025 noch nicht wieder das Vorkrisenniveau an Reisenden erreicht werden und die Staatshilfen werden voraussichtlich im Laufe des aktuellen Jahres auslaufen.

Auswirkungen auf den Vertrieb

Vor allem während des ersten Lockdowns mussten die stationären Vertriebsstellen der Reisebüros und Reiseveranstalter schließen. In der übrigen Pandemiezeit waren die Besuchsregeln bislang restriktiver als beispielsweise bei Supermärkten. Da der Online-Vertrieb ausländischer Online-Reisebüros wie Expedia definitorisch nicht zum deutschen Tourismussektor zählt und für die deutschen Reisebüros der stationäre Vertrieb wesentlich relevanter als der Online-Vertrieb ist, sind sie noch einmal stärker von den Folgen der Pandemie betroffen als die Reiseveranstalter. Ein Kunde, der eine Reise beispielsweise pandemiebedingt nicht bei einem stationären Reisebüropartner von TUI bucht, sondern direkt auf der Website dieses Reiseveranstalters, entgeht der Reisebürobranche komplett. Für die Reisebüros sind die Geschäftskunden kurzfristig signifikant relevanter geworden als die Privatkunden, obwohl für den gesamten Reisesektor das exakte Gegenteil gilt, also, dass sich der Privatreiseverkehr schneller erholt als der Geschäftsreiseverkehr. Reisebüros profitieren davon, dass sie für Mittelständler häufig alle Reisetätigkeiten abwickeln, auch das Anmieten von Bussen für Montagefahrten. Solche Reisetätigkeiten sind im Inland aber nicht so stark eingebrochen.

Die Preisbildung im Zuge der Pandemie fällt sehr differenziert aus. Inländische Hotelzimmer sind beispielsweise in den Großstädten häufig günstiger. Reisen zu ausländischen Fernzielen haben sich hingegen häufig verteuert. Dies ist beispielsweise auf ein schlechteres Angebot von Netzwerk-Airlines zurückzuführen. Bei den nur mit einschränkten Kapazitäten fahrenden Kreuzfahrtschiffen werden die verbliebenen Passagiere oftmals höher bepreist.

Allgemein dürften Privatreisende 2022 auch aus Gründen des Nachholbedarfs bereit sein, mehr Geld für eine Reise auszugeben. Förderlich hierfür ist auch, dass sich viele Reiseanbieter den Kundenanforderungen angepasst haben und bessere Stornierungsmöglichkeiten anbieten.

Strukturelle Folgen 

Ab 2023 dürften sich die pandemiebedingten wirtschaftlichen Verwerfungen nach dem Abklingen des Nachholbedarfs stärker dämpfend auf das Reiseverhalten auswirken, wovon Günstigflieger, Budget-Hotels und kostengünstige Pauschalreiseanbieter profitieren dürften. Das vor der Pandemie sehr wachstumsstarke Geschäft der Kreuzfahrten dürfte rund fünf Jahre in seiner Entwicklung zurückgeworfen werden. Den Reisebüros war es, nach signifikanten Rückgängen in den 2000er-Jahren, in den 2010er-Jahren gelungen, ihren stationären Vertrieb zu stabilisieren. Nach dem Ende der Pandemie dürfte der stationäre Vertrieb, auch wegen vieler Filialschließungen, deutlich geschwächt sein.

Zwar betonen viele Geschäftsleute immer wieder, wie wichtig persönliche Gespräche sind, dennoch dürften auch nach der Pandemie viele potenzielle Geschäftsreisen durch Videokonferenzen ersetzt werden, da diese ein integraler Bestandteil des Geschäftslebens geworden sind. Ein möglicher Gewinner der Pandemie könnte mittel- bis langfristig der Tourismusstandort Deutschland sein, da viele jener Konsumenten, die normalerweise bevorzugt ins Ausland reisen, diesen während der Pandemie für sich entdeckt haben.

Fazit

Frühestens Mitte der 2020er-Jahre dürfte der Tourismussektor wieder annähernd das Umsatzniveau der Vorkrisenzeit erreichen. In manchen Branchen wie bei den Reisebüros dürfte es sogar auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Das seit Herbst 2020 erhöhte Niveau des Weltmarktpreises für Rohöl wirkt sich hierbei zusätzlich belastend aus, da sich dadurch beispielsweise Flüge verteuern. Wie auch in der gesamten Volkswirtschaft dürfte sich der Digitalisierungsgrad des Tourismussektors pandemiebedingt deutlich erhöhen bzw. dürfte sich die Digitalisierung beschleunigen. Aufgrund von Faktoren wie zahlreichen Schließungen stationärer Reisebüros ist schon jetzt die disruptive Wirkung der Pandemie erkennbar.

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